25 Jahre - der dienstälteste Nachtwächter von Osnabrück

Etienne Légat
Etienne Légat
27.11.2025
7 min Lesezeit

Wer in Osnabrück schon einmal an einer unserer Stadtführung oder Erlebnistour teilgenommen hat, kennt vielleicht die ruhige, markante Stimme von Martin Hegge. Seit nunmehr 25 Jahren führt der gebürtige Osnabrücker Gäste wie Einheimische durch die Altstadt – meist in der Rolle des historischen Nachtwächters. Außerdem ist er auch auf den historischen Friedhöfen unterwegs, erkundet mit Gruppen den Gertrudenberg, begleitet Busreisegruppen, begeistert Schulklassen und erzählt auch unseren kulinarischen Stadtrundgängen Wissenswertes über die Hasestadt.
Am 9. November 2025 feierte Martin ein besonderes Jubiläum: den Jahrestag seiner allerersten Führung – einer Nachtwächter-Tour vor genau 25 Jahren. Seitdem ist er weit über 1.000 Führungen gelaufen und damit nicht nur der dienstälteste Nachtwächter Osnabrücks, sondern auch einer der erfahrensten Guides der Stadt. Für Martin war das Nachtwächter-Dasein dabei nie nur ein Job. Es ist gelebte Stadtgeschichte – erzählt mit Ruhe, Humor und einem feinen Gespür für Menschen und Orte. Für viele gilt er schon längst als echtes „Osnabrücker Original“.

Ein Einstieg, der prägt

Alles begann 1998, als Martin erstmals selbst an einer Nachtwächter-Tour teilnahm – noch als Gast. Er hatte die Ankündigung in der Zeitung gelesen. Die Führung war nicht nur für ihn eine Premiere, sondern die erste Nachtwächter-Tour überhaupt in Osnabrück, geleitet vom damaligen Gründer und Initiator der Nachtwächter Carsten Lehmann.

„Da sind meine Frau und ich dann hingefahren, und auf dem Marktplatz standen ungefähr 200 Leute rum. Tja, und so sind wir wieder nach Hause gefahren. Das war's dann!“

Erst eine private Nachtwächter-Tour zum Geburtstag einer Bekannten brachte ihn später auf den Geschmack. Der Erfolg der neuen Führungen sprach sich schnell herum, und bald suchte der Gründer per Zeitungsanzeige Verstärkung.
Martin bewarb sich und fand sich kurz darauf mit 24 anderen Kandidaten im Rathaus wieder. Schnell mussten einige der Bewerber feststellen, dass es nicht um nächtlichen Objektschutz ging, sondern um die Darstellung eines historischen Nachtwächters.

Martin Hegge in der Rolle des historischen Nachtwächters von Osnabrück.

An vier Abenden wurde jeweils vier Stunden lang gelernt, getüftelt und geprobt: Alles zur Stadtgeschichte, Gruppenführung, Rhetorik, Körpersprache, Stimmtraining oder auch der Umgang mit der Hellebarde. Von 25 Bewerbern schafften es nur sieben in diese intensive Ausbildung, am Ende blieben lediglich Martin und eine Kollegin übrig.

„Meine erste Tour war dann mit älteren Damen, die sich regelmäßig zum Kaffee trafen. Ich sollte eigentlich eine öffentliche Führung machen, doch zwei Tage vorher rief mich der damalige Planer aus dem Rathaus an: ‚Wir hätten spontan eine Nachtwächter-Tour, könntest Du die schon führen?“

Keine Generalprobe, keine Testtour, kein Feedback im Vorfeld – Martin wurde sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen. Rückblickend sei das aber genau richtig gewesen, sagt er. Durch die spontane Planänderung blieb ihm kaum Zeit, sich im Vorfeld zu viele Gedanken zu machen – die Aufregung sei ohnehin groß genug gewesen. Eine Lektion aus dieser Anfangszeit begleitet ihn bis heute: Den Gästen bloß nicht zu sagen, was sie nicht tun sollen. Es sei wie mit dem berühmten rosa Elefanten – sobald man aufgefordert werde, nicht an ihn zu denken, tue man es erst recht.

Vom Nachtwächter zum Allroundtalent

Auf die Nachtwächter-Touren folgten bald weitere Formate. Eher beiläufig übernahm Martin Führungen über den Hasefriedhof, nachdem ein Kollege ausgestiegen war – und fand darin eine Aufgabe, die ihm bis heute besonders liegt. Kein Zufall: Martin ist gelernter Gärtner, lebt heutein Ostercappeln direkt am Friedhof und war dort viele Jahre mit einer Baumschule selbstständig, unter anderem auch als Friedhofsgärtner. Und wer sich vor dem Thema Friedhof scheut, den beruhigt Martin gern mit einem Augenzwinkern:

„Wir haben bisher alle Gäste wieder mitgebracht.“

Es folgten Führungen über den Gertrudenberg und durch den Bürgerpark, Krimi-Touren und später auch Bustouren. Besonders gern erzählt Martin Geschichten aus Stadtvierteln, in denen er selbst einmal gelebt hat – etwa aus dem Schinkel. Dazu gehören ebenso skurrile wie unvergessliche Anekdoten, zum Beispiel von einem alten Bunker, der mit Flüssigzement verfüllt werden sollte und am Ende ganze Straßenzüge zwei Wochen lang ohne funktionierende Toiletten zurückließ.

Auch bei den Krimi-Führungen „Mord & Totschlag“ schlüpft Martin Hegge in eine historische Rolle.

Heute springt Martin mit 25 Jahren Erfahrung selbstverständlich ein, wenn Kolleginnen oder Kollegen kurzfristig ausfallen – auch bei Formaten, die er zuvor noch nie geführt hat. Eine kulinarische Stadtführung? „Das krieg ich schon hin.“ Eine Hexen-Führung für eine Schulklasse? Kein Problem. Sein enormer Wissensschatz und seine Erfahrung ermöglichen es ihm, nahezu jedes Thema souverän zu bedienen.
Besonders beeindruckt sind dabei oft Gäste von außerhalb. Zu Beginn fragt Martin gern nach ihrer Herkunft – und mag der Ort noch so klein sein: Er kennt ihn. Im Zweifel war er sogar selbst schon dort. Denn Martin reist leidenschaftlich gern, bevorzugt an Orte abseits der üblichen Routen. Diese Neugier prägt auch seine Führungen und macht sie lebendig und persönlich.

Wenn Schnee, Sturm und Stromausfall zur Bühne werden

Ein Abend ist Martin dabei besonders im Gedächtnis geblieben: der 26. November 2005. Extreme Schneefälle legten damals große Teile Nordwestdeutschlands lahm. Straßen waren blockiert, Strommasten knickten ein, es kam zu großflächigen Stromausfällen. Viele Gäste sagten ihre Nachtwächter-Tour ab – Martin kämpfte sich dennoch über Schleichwege nach Osnabrück. Am Ende standen acht Gäste vor ihm. Was folgte, war eine Nachtwächter-Führung wie aus einem Bilderbuch: Die Altstadt lag im Dunkeln, unter einer dicken Schneeschicht begraben. Kein elektrisches Licht, kaum Geräusche – nur das Knirschen des Schnees und die Laterne des Nachtwächters.
Nach der Führung begegnete Martin zufällig Jean-Claude Juncker. Der luxemburgische Politiker und spätere Präsident der Europäischen Kommission war einer der wenigen Teilnehmer eines EU-Treffens, die es an diesem Abend überhaupt nach Osnabrück geschafft hatten. Im nächtlichen Schneetreiben kam es zu einem kurzen Austausch – ein Gespräch zwischen Nachtwächter und europäischem Spitzenpolitiker, wie es wohl nur an solchen Abenden passieren kann.

Hubschraubereinsatz an geknickten Strommasten einer Freileitung bei Münster.

Fragt man Martin nach anderen besonders prägenden Führungen, denkt er nicht nur an spektakuläre Abende oder extreme Wetterlagen. Besonders die Führungen mit Kindern und Jugendlichen bleiben ihm im Gedächtnis. Ihre direkten Fragen machten die Geschichte oft besonders greifbar, meint er. So erinnert er sich besonders gern an eine Situation im Osnabrücker Rathaus. Während er einer vierten Klasse den Dreißigjährigen Krieg erklärte, fragte ein Schüler: „Wenn die Menschen am Ende doch eh alle tot sind – warum führen sie überhaupt Krieg?“ Nach kurzem Zögern versuchte Martin, die Frage kindgerecht zu beantworten, und schloss mit einem Satz, der sicher vielen im Gedächtnis blieb:

„Im Krieg schießen Menschen aufeinander, die sich nicht kennen, im Auftrag von Menschen, die sich zwar kennen, aber nie aufeinander schießen würden.“

Solche Momente zeigen, dass Stadtführungen mehr sein können als bloße Unterhaltung. Für Martin sind genau diese Momente ein wichtiger Teil seiner Arbeit: wenn Geschichte nicht nur erzählt, sondern im Gedächtnis weiterarbeitet.

Ein Blick zurück – und nach vorn

In 25 Jahren als Nachtwächter und Stadtführer hat Martin Hegge Osnabrück aus zahllosen Perspektiven kennengelernt. Er sei in vieles einfach „reingerutscht“, sagt er selbst. Vielleicht liegt genau darin sein Geheimnis: kein großes Pathos, sondern echtes Interesse an Menschen, Orten und ihren Geschichten.
Über die Jahre ist Martin zu einer Art wandelndem Stadtarchiv geworden. Kolleginnen und Kollegen wenden sich gerne an ihn, wenn sie keine Antworten mehr in Büchern finden – und Martin hilft gern weiter. Irgendeine Geschichte hat er immer parat!

Martin Hegge vor dem Steinwerk in der Heger Straße vor einer „beschwipsten“ Nachtwächter-Führung.

Nach über 25 Jahren und mehr als 1.000 Führungen ist Martin Hegge aus der Osnabrücker Stadtführungsszene nicht mehr wegzudenken. Er hat Generationen von Gästen die Stadt nähergebracht und Begeisterung für Geschichte geweckt. Wir danken Dir, lieber Martin, für Deine Zeit, Deine Verlässlichkeit, Deinen Humor – und für all die Geschichten, die Du mit uns und unseren Gästen teilst. Wir freuen uns auf viele weitere gemeinsame Erlebnisse und wünschen Dir alles Gute für die nächsten 25 Jahre! Auf dass Du eines Tages selbst Dein eigenes Zitat erfüllen wirst:

„Der schlimmste Feind des Historikers ist der Zeitzeuge!“

Möchtest Du Martin Hegge einmal persönlich kennenlernen? Dann begleite ihn auf einer seiner Führungen durch die Hasestadt und lausche seinen Geschichten. Auf einer Nachtwächter-Tour durch Osnabrück erfährst Du unter anderem Spannendes über das historische Rathaus oder die alten Wehrtürme. Weißt Du zum Beispiel, wo sich das kleinste Studentenwohnheim Deutschlands befindet? Falls nicht, wird es Zeit, mit auf eine unserer Führungen zu kommen!

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