Der ultimative „Utkiek“ - Oldenburg von oben

Etienne Légat
Etienne Légat
July 4, 2025
7 min Lesezeit

Wo andernorts Serpentinen zu Panoramaplattformen führen und Kühe auf saftigen Almen grasen, reicht in Norddeutschland oft schon ein einziger Hügel – oder ein Fahrstuhl. Denn im platten Norden gelten bekanntlich eigene Maßstäbe, wenn es um die große Aussicht geht. Während sich Wandernde in den Alpen stundenlang bergauf kämpfen, um einen atemberaubenden Fernblick zu erhalten, ist Oldenburg nicht gerade für seine alpinen Höhen bekannt – und doch gibt es sie: diese ganz besonderen Orte, an denen dem Betrachter die Stadt zu Füßen liegt. Ganz ohne Kletterpartie oder Gipfelkreuz kann man hier fantastische Ausblicke genießen, über rote Dächer, grüne Alleen und das geschäftige Treiben der Innenstadt.

Die Topografie Oldenburgs mag bescheiden wirken, doch gerade das macht den Reiz aus. In einer Stadt ohne Höhenmeter wird jeder kleine Vorsprung zur gefühlten Bergspitze. Hier hat das Wort „Aussicht“ (auf Oldenburger Platt: „Utkiek“) noch seinen ganz eigenen Charme: ein bisschen flach, aber trotzdem mit Weitblick. Doch wo findet man diese besonderen Orte, an denen das flache Land sich von seiner schönsten Seite zeigt? Plätze, an denen sich der Himmel weit öffnet, die Gedanken auf Reisen gehen und der Horizont so norddeutsch gerade verläuft, dass ein Lineal neidisch werden könnte?

Der Osternburger Utkiek

Ganz einfach – wer nach dem besten Blick über Oldenburg sucht, orientiert sich natürlich als erstes an der höchsten Erhebung der Stadt. Doch so natürlich ist diese Erhebung gar nicht! Sie wurde nämlich von Menschenhand errichtet, um dem immer größer werdenden Abfallaufkommen der Stadt entgegenzuwirken. Dazu wurde 1973 im Stadtteil Osternburg eine Deponie angelegt. Untypisch, aber bewusst haben sich die Stadtväter für eine zentrumsnahe Müllhalde entschieden. Viele fanden es praktisch, manche mussten dafür den Gestank und den vom Winde verwehten Unrat jahrzehntelang ertragen. Während anfangs der Abfall auf dem sogenannten „Altfeld“ nur abgelagert wurde, verbesserten sich später die Verfahren. Auf dem „Neufeld“ wurde im Müllbunker zerkleinerter Abfall zu drei großen Hügeln gestapelt, ehe die Deponie 2003 letztlich geschlossen wurde. Es folgte eine Ausschreibung für die Nachnutzung, wobei das Ergebnis bis heute alle Oldenburger begeistert. Aus der Müllhalde wurde eine Parkanlage, ein Stadtpark mit Aussicht, ein „Utkiek“.

Blick vom Nordhügel des Utkieks gen Norden in Richtung der Innenstadt. Man sieht unter anderem die Kuppel des Staatstheaters, die Türme der Lambertikirche sowie die Türme des Schlosses und des Fernmeldeamtes.

Die drei ehemaligen Müllberge wurden renaturiert und in grüne Wanderhügel verwandelt. Verschlungene Wege führen mit moderater Steigung ganz barrierefrei hinauf zu den „Gipfeln“. Der Höchste von ihnen erhebt sich gut 30 Meter über das Umland und bildet damit die markanteste Landmarke der Stadt – mit weiter Aussicht über die Stadtsilhouette bis hin zu den Türmen der Lambertikirche. Rasenflächen und Bänke laden zum Verweilen ein und während die Großen in die Ferne schauen oder sich dem Müßiggang hingeben, können sich die Jüngeren an Schaukeln, Klettergerüsten und Spielgeräten austoben. Im Sommer wird hier flaniert, gejoggt oder gewalkt, im Winter verwandeln sich die Hänge in kleine Rodelpisten – zumindest wenn es unerwartet schneien sollte. Der Utkiek zeigt sich damit als echtes Ganzjahresziel: ein Ort für Bewegung, Entspannung und gelegentliche Höhenflüge.

Die Huntebrücke

Atemberaubend ist auch die Aussicht von dieser Brücke. Eine Perspektive, die sonst nur Vögel genießen dürfen. Es gibt über 300 Brücken in Oldenburg. Es gibt auch viele Brücken über die Hunte in Oldenburg, aber dies ist die einzig wahre „Huntebrücke“. Sie ist eine der majestätischsten Autobahnbrücken im Nordwesten und ragt ganze 26 Meter hoch in den Himmel. So hoch braucht man in der Oldenburger Landschaft normalerweise nicht zu bauen. Damit aber der Stadthafen weiterhin der Schifffahrt zugänglich blieb, musste dieses erhabene Bauwerk her. Zu Bauzeiten der Huntebrücke liefen in der Oldenburger Brandwerft noch große Schiffe vom Stapel, und diese sollten auch bei Hochwasser ungehindert in Richtung Weser und Nordsee ziehen können. Um eine solche Höhe zu erreichen und dabei eine Steigung einzuhalten, die auch von Lkw-Gespannen zu bewältigen ist, musste man lange Anlauf nehmen. Auch wenn die Spannweite selbst nur 440 Meter beträgt, erstreckt sich der ganze Brückenabschnitt auf nahezu 2.500 Meter! Schon seit über 40 Jahren trägt die Brücke nun die viel zu schweren Lasten. Schließlich bringt manch ein Gespann heutzutage 300 Tonnen auf die Straße. Die Substanz ist ermüdet und die Brücke wird derzeit grunderneuert.

Die alte Huntebrücke der A29 vor ihrer Sanierung im Jahr 2023. Bis Ende 2029 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.

Doch mit dem Auto bleibt unterwegs ohnehin keine Zeit zum Bewundern der Aussicht. Zu schnell gleiten das Panorama der Hunteauen und die Stadtsilhouette an einem vorbei. Wenn der kurze Blick aus den Fenstern einen fesselnden Eindruck hinterlassen hat, kann man anschließend dann zu Fuß das Bauwerk erkunden. Unterhalb der Fahrbahn befindet sich nämlich eine Galerie, die Fußgängern und Radfahrern eine Überquerung des Flusses ermöglicht. In ihrer Mitte muss man einfach kurz innehalten und der Postkartenblick ist perfekt. Wenn man in Oldenburg Bungee-Springen wollte, dann wohl nur von hier. Zum Glück soll auch die neue Autobahnbrücke Ende 2029 wieder eine Galerie unterhalb der Fahrbahn erhalten, sodass den Oldenburgern einer der besten Ausblicke über ihre Stadt erhalten bleibt. Ganz nebenbei hat man von hier aus auch einen der besten Blicke über das alljährliche Silvesterfeuerwerk.

Der Turm der Lambertikirche

Doch in Sachen Ausblick über die Stadt ist und bleibt der Turm der Lambertikirche die unangefochtene Nummer Eins. Mit 86 Metern ist er immerhin das höchste Bauwerk der Stadt und prägt entsprechend die Silhouette. Von dort oben hat man nicht nur den besten Blick sondern eine nahezu göttliche Vision über Oldenburg, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das, obwohl es beinahe alles ganz anders gekommen wäre – die längste Zeit hatte die Lambertikirche nämlich gar keinen eigenen Kirchturm.
Seit dem Hochmittelalter befand sich lediglich ein freistehendes Glockenhaus aus Fachwerk neben der Kirche. Doch 1813 wurde das Gebäude abgerissen, um zusätzlichen Raum für den Marktplatz zu schaffen. So kam es dann auch, dass das turmlose Gotteshaus vom berühmten Dichter Heinrich Heine bei einem seiner Besuche in Oldenburg verspottet und mit einem einfachen Theater verglichen wurde. Erst 1873 errichtete man schließlich einen richtigen Glockenturm im Westen der Kirche. Doch schon zwei Jahre nach Fertigstellung des Turm wurde die neue Spitze wieder abgebrochen. Sie war ganz aus Klinker ausgeführt und hatte bei einem Sturm erheblich geschwankt, sodass die Oldenburger einen Einsturz befürchteten. So erhielt der Turm eine neue Spitze aus Schiefer, die erheblich schlanker war und der Kirche ein viel gefälligeres Aussehen verlieh.

Blick auf die Ostseite des Kirchturms aus einer Dachluke neben der berühmten klassizistischen Rotunde.

Wer einmal zu den fünf riesigen Glocken und darüber hinaus bis unter die Spitze des Turmes steigen will, der muss dies im Voraus planen. Denn der Dachstuhl und der Turm sind leider nur einmal im Jahr zu besichtigen, am Tag des offenen Denkmals. Dieser Aktionstag, an dem viele sonst nicht zugängliche Denkmale für die Bürger geöffnet werden, findet jährlich am zweiten Sonntag im September statt und bietet unter anderem auch die Möglichkeit den Turm der Lambertikirche zu besteigen. Und dies ist ein durchaus abenteuerliches Unterfangen. Während am Sockel noch solide Steinstufen den Weg nach oben ebnen, wird der Aufstieg mit jedem Meter spektakulärerer. Anfangs führen noch massive Wendeltreppen durch das Mauerwerk, doch je höher es geht, desto schmaler und steiler werden die Wege. Spätestens im hölzernen Glockenstuhl weicht das Gefühl eines normalen Treppenhauses dem eines historischen Kletterparcours.

Ab hier ist Schluss: Die Holzleitern über dem Uhrwerk sind für den weiteren Aufstieg in die Turmspitze gesperrt.

Die letzten Etappen haben es in sich: Metallgeländer werden rar, der Boden unter den Füßen besteht nun aus knarzenden Holzbalken und wer noch weiter will, muss sich an steilen Leitern emporarbeiten. Diese führen in teils halsbrecherischen Abständen durch das Gebälk, machen große Sprünge zwischen den Ebenen und erinnern mehr an einen Dachboden aus einem Abenteuerroman als an einen Sakralbau. Jeder Schritt verlangt Konzentration – und schwindelfrei sollte man besser auch sein. Doch wer sich bis zur Spitze vorwagt, wird belohnt: mit einem Blick durch das Ziffernblatt der Turmuhr, der weit über die Stadtgrenzen hinausreicht. Und mit dem einzigartigen Gefühl, ganz oben zu stehen, über den Glocken, über den Dächern, über dem Alltag!

Über den Dächern von Oldenburg - Panoramablick gen Nordwesten. Im Hintergrund sind die Kirchtürme von St. Peter und der Garnisonkirche zu erkennen, im Vordergrund liegt das alte Rathaus.

Wer einen ähnlichen, wenn auch nicht ganz so spektakulären Blick über die Oldenburger Innenstadt erleben möchte, aber nicht bis zum Tag des offenen Denkmals warten will, dem bieten sich gleich zwei attraktive Alternativen: Zum einen ist auch der Schlossturm zu den regulären Öffnungszeiten des Landesmuseums Kunst & Kultur begehbar, von dem man einen herrlichen Blick über den Schlossplatz in Richtung Staatstheater hat – zum anderen lässt sich auch die oberste Plattform des Parkhauses am Waffenplatz besuchen, die sogar mit dem Fahrstuhl erreichbar ist! Das oberste Parkdeck bietet ebenfalls einen fantastischen Weitblick, der in seiner ganz eigenen Art überrascht. Zwischen Betonrampen, Autos und Lüftungsschächten öffnet sich plötzlich ein Blick auf die Dächer der Innenstadt, der vor allem bei Sonnenuntergang eine beinahe filmische Kulisse bietet. Die Türme der Lambertikirche ragen markant in den Himmel, das Staatstheater zeichnet sich als Silhouette ab, und dazwischen entfaltet sich das lebendige Treiben der Stadt – aus sicherer, fast stiller Distanz.

Alles Gute kommt von oben

Ob historischer Kirchturm, begrünter Müllberg oder verstecktes Parkhauspanorama – Oldenburg beweist, dass es für große Aussichten keine großen Höhen braucht. Die Stadt präsentiert sich aus der Vogelperspektive vielfältig und überraschend: mal majestätisch, mal bodenständig, mal ganz und gar unerwartet. Es braucht eben doch keine Berge, um über den Dingen zu stehen. Nur ein bisschen Neugier, gute Schuhe – und die Lust, Oldenburg einmal von oben zu betrachten.

Neben besonderen Panorama- und Aussichtspunkten gibt es aber noch viele weitere Highlights und spannende Orte in Oldenburg zu entdecken. Unsere Stadt- und Themenführungen bieten Dir die ideale Möglichkeit diese Orte kennen- und lieben zu lernen! Erlebe mit uns die Schönheit und den Charme von Oldenburg und lass Dich von den Geschichten und Geheimnissen verzaubern. Erlebe Geschichte und Kultur auf eine einzigartige und unterhaltsame Weise – begleitet von unseren leidenschaftlichen und kompetenten Guides. Wir freuen uns darauf, Dich bei einer unserer Stadtführungen willkommen zu heißen!

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